Laatzen

„Fauler Zauber Profi-Fußball“: Eine Aufarbeitung mit Zeitgenossen

Heute: Vom Pissoire zum Präsidenten

[LAATZEN]

In seinem Buch „Fauler Zauber Profi-Fußball“ aus der Reihe „Mensch Fritze“ aus dem Jahr 1994 übt der bekannte Rechtsanwalt und Autor Fritz Willig, 1941 geboren, aus Laatzen keine Zurückhaltung. Er zeigt vieles auf über Zeitgenossen, die ihn auf seinem Weg als Präsident von Hannover 96 (1991 bis 1993) begleitet haben, ehemalige und damals aktuelle Funktionäre, Trainer, Spieler und Journalisten. Willigs Erinnerungen sind mehr als nur persönliche Dokumentationen – sie zeichnen ein scharfes, bisweilen ernüchterndes Bild des Profi-Fußballs jener Jahre. Machtspiele, Intrigen und Eitelkeiten hinter den Kulissen: Der Autor gewährt Einblicke in eine Welt, die Fans so meist nicht zu sehen bekommen. Der LeineBlitz veröffentlicht in regelmäßigen Abständen die einzelnen Kapitel, heute: Vom Pissoire zum Präsidenten.

Gedankengut aus der Vergangenheit in die Gegenwart, präsentiert und analysiert, entschleunigt in der Zukunft die Bevormundung der Menschen durch die Künstliche Intelligenz   Fritz Willig  

Vom Pissoir zum Präsidenten – in diesem Moment war alles Zaubern dahin. Verstörte Männer drängen sich Schulter an Schulter vor dem Pissoir der Herrentoiletten des „Alten Rathauses“ in Hannover. Guter Rat ist jetzt dringend vonnöten, dann soeben hat es im Bankettsaal einen stimmungsvollen Eklat gegeben. Der designierte Präsident ist ohne Gegenkandidaten durchgefallen. Ein Novum in der fast 100-jährigen Vereinsgeschichte von Hannover 96. Der noch amtierende Präsident, der zu Hannover 96 passt wie ein Porsche Carrera zu einem Sozialhilfeempfänger, hatte ihn (als Fluchtweg aus der eigenen Verantwortung), vorgeschlagen. Der Neue, der schneidig mit Geld und Versprechen herumwarf, sollte für den Alten, einen schick aussehenden, guten Rhetoriker, der Rettungsanker sein. Um zu verdecken, dass er den Verein in die größte Krise deiner bisherigen Geschichte geführt hatte.

Die Schuld lag keineswegs nur beim Präsidenten, der sich jetzt möglichst schnell aus dem Staub machen wollte. In den Katakomben des Eilenriede-Stadions, auf der VIP-Tribüne und an anderen einschlägigen Orten hatten andere die Drähte gezogen. Die große Intrige, im kleinen 96-Kreis gesponnen, sollte mit dem neuen Mann an der Spitze ihre Früchte tragen. Man hatte er den Kandidaten, eine Galionsfigur, die in einem Fußballverein ausreichend zur Verfügung stehen, ins Amt gedrängt und sich dann feige im Hintergrund gehalten. Eine gängige Taktik Hallo, die diesmal nicht aufging. Die Mitgliedschaft rebellierte, und das will in Deutschland, wo das brave, harmoniebedürftige, treu zum Vorstand stehende Vereinsmitglied sein wahres Zuhause hat, etwas heißen.

Auf der Herrentoilette im Alten Rathaus brodelte es also, und in dieser klassischen Männerwelt hat es mich dann gepackt. „Fredy, du musst jetzt antreten“, beschwor man mich. Immer wieder hatte ich in den letzten Monaten eine Kandidatur mit Hinweis auf meine berufliche Belastung abgelehnt. Doch in diesem Moment, bedrängt von tief besorgt mit 96ern, die nichts für sich wollten, sondern nur an das Schicksal ihres Klubs dachten, war alles Zaudern dahin. Ganz aus dem Bauch heraus sagte ich „ja“, danach explodierte die Stimmung und trug mich unter Jubel (der mich erschaudern ließ), ins Präsidentenamt.

Die Wahl war nur noch eine Formsache, selbst die Heckenschützen, die die Galionsfigur nicht gewollt und heimlich schon ein Schattenkabinett gebildet hatten, bekunden Zustimmung. Sie versprachen mir  finanzielle Unterstützung für den Verein, eine Zusage, die exakt den Stellenwert von Wahlkampfveranstaltung der Politiker hatte, wie sich später herausstellte.

Als frischgebackener Präsident eines Profiklubs wäre ich beinahe selbst abgestiegen, zu Hause. Meine Lebensgefährtin hatte über Radio von meiner Wahl erfahren und prompt (ein Widder) ihre Sachen gepackt. Sie sah ihre karge Freizeit an meiner Seite endgültig entschwinden. Meine Mutter konnte sie überzeugen, wenigstens probeweise auszuharren. Den mütterlichen Kommentar zu meinem neuen Posten möchte ich verschweigen, so dürfen sich auch nur Mütter ausdrucken.

Am harten Fußballgeschäft zerbrechen – wie in der Politik – überdurchschnittlich viele Zweisamkeiten, Männer, die selten zu Hause auflaufen und ganz woanders ihre scheinbaren Triumphe feiern, handeln sich irgendwann eine rote Karte ihrer Gefährtin ein. Ich hätte das kaum überstanden, es wäre für mich wie ein Abstieg in die Kreisklasse gewesen. Was halten Frauen an der Seite von Fußballpräsidenten und anderen merkwürdigen Persönlichkeiten aus. Und so ist Petra mein Coach geblieben, auch wenn sie meinem Faible für die Steilpässe und andere fußballerische Delikatessen nach wie vor nichts abgewinnen kann.

Bis zum Morgen habe ich im Kreis der Getreuen und solchen, die sich dafür ausgaben, meine Wahl gefeiert. Dabei hörte ich wiederholt, dass eins, aber eins bestehen bleibe und Hannover 96 niemals untergehen werde. 24 Stunden später war ich stocknüchtern und gar nicht mehr so sicher, dass mein Klub nicht untergehen werde; denn ich hatte die Bankauszüge des Vereins angesehen.

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